Musicologica Olomucensia vol. 6, (2001):179-192
ANFÄNGE DER THEORETISCHEN REFLEXION DES JAZZ IN BÖHMEN IN DEN JAHREN 1918-1962
Die erste Welle der Reaktion auf den Jazz und auf die damit beeinflusste moderne l´opmusik in der tschechischen Presse entwickelte sich (im Vergleich zum übrigen Westeuropa mit Verspätung) erst im Zeitraum nach dem 1. Weltkrieg und im Verlaufe der zwanziger Jahre. Zu dieser Zeit erschienen Broschüren mit Beschreibungen von neuen Gesellschaftstänzen und Werberflugblätter, herausgegeben von verschiedenen Verlagen. Die Jazzmusik wurde mit besonderer Begeisterung in den Kreisen der progressiven tschechischen künstlerischen Avantgarde aufgenommen (Kunstverein "Devìtsil"). Aus diesem Bereich stammte auch der Autor des ersten tschechischen Buches über den Jazz E. F. Burian (1928), der um Unterschied zu Autoren von ähnlichen Büchern in Frankreich, Großbritannien oder in Deutschland ein professioneller Komponist und aktiver Mitbeteiligter an damaligen kulturellen Aktivitäten war. Komischerweise, und zwar mit Rücksicht auf die quantitative Entwicklung des tschechischen Jazzlebens im Verlaufe der dreißiger Jahre (Orchester des Theaters "Osvobozené divadlo" von Je¾ek, Gramoklub-Orchester, Anfänge der Swing-Bigband von Karel Vlach) erschien in diesem Zeitraum kleine ähnliche spezialisierte Buchpublikation. Sehr bedeutend war zu dieser Zeit die reiche publizistische Tätigkeit des Schaltplattensammlers und Organisators Emanuel Uggé, orientiert - in ähnlicher Weise wie Bestrebungen von Charles Delaunay* oder Hughes Panassié in Frankreich oder Robert Goffin in Belgien - vor allem auf die Werte des authentischen Negro-Hot-Jazz.* Nach der unfreiwilligen Unterbrechung der natürlichen Entwicklung des tschechischen Jazz im Verlaufe der deutschen Okkupation folgte die neue Welle der spezialisierten Jazz-Publizistik in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg (unabhängige Zeitschrift "Jazz", redigiert von Uggé), die nach dem kommunistischen Putsch im Februar 1948 mit Bestrebungen der Machtadministrative, diese Entwicklung zu liquidieren, gewechselt wurde.
Erst nach dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion kam es zu neuen Versuchen um die Emanzipation der Jazzmusik im tschechischen Milieu. Damit einher vollzog sich auch die Theorieentwicklung. Um Rahmen der theoretischen Reflexionen gab im Jahre 1959 Jan Rychlík, ein weiterer Komponist aus dem Bereich der klassischen Musik, der ursprünglich als professioneller Jazzmusiker tätig war, ein polemisch zugespitztes Buch Povìry a problémy jazzu [Aberglauben und Probleme im Jazz] heraus, in dem viele Irrtümer und Legenden aus der laufenden ausländischen Jazzpublizistik korrigiert wurden. Das Beispiel von Rychlík brachte einen neuen Anlass für die neue Generation von professionell ausgebildeten Musikwissenschaftlern (Jiøí Fukaè, Josef Kotek, Ivan Poledòák, usw.), die sich auf den Jazz kontinuierlich konzentrierten, und die sich mit ihren fachkundigen Ansichten in bedeutendem Maße an der Überwindung der Dogmen der stalinistischen Kulturpolitik beteiligten. Als führende Kraft dieser Prozesse war am Anfang der sechziger Jahre insbesondere Ivan Poledòák tätig. Mit seinen zahlreichen Referaten und Studien zur Thema "Jazz und sein Spezifikum" wurde die Emanzipation des Jazz im tschechischen musikalischen Leben vollendet und neue Ausgangspunkte für weitere Nachfolger angedeutet.
Published: June 11, 2001 Show citation
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